Warum Barbie – der Film – nicht feministisch ist.

Disneykitsch + Brigitteheftl-Frauenratgeberessenz = Barbiefilm

Statt grimmigen Nomaden wie im letzten Text widme ich mich heute mit grimmiger Gaudi dem Verriss der zuckerlrosa Mädi-Verfilmung. Ich habe – ungern, aber um weltoffene Neutralität bemüht  – den Barbiefilm in den verkühlten Weihnachtsferien konsumiert, weil es so oft und aus möglicherweise seriöser Kritiker:innenquelle geheißen hat, der Film sei feministisch. Und so gut gemacht. Und die Sets so liebevoll. Und die Schauspieler so ….

Ok. Oje.

Ist er nicht. Hier sind 13 hexische, echte, politische Gründe, warum nicht.

1. Feminismus ist keine Wippe, wo einmal die Männer oben sind, und dann, endlich, mit List und Tücke, die Frauen. Feminismus bedeutet nicht, wir edlen, emotional weisen Frauen, gegen die leicht vertrottelten und unfähigen Männer. Feminismus ist – nach 5.000 Jahren Herrscherfantasien und der Arbeit von vielen, vielen klugen Frauen und Männern – eine fundierte Kritik an einem System, das auf Besitz und Herrschaft aufbaut.
Und das durch die Filmindustrie fundiert zusammen gehalten wird.

2. Rosa Kunststoffplastikpuppen täten, sie täten Präsidentinnen sein. Und Ärztinnen. Und Nobelpreisträgerinnen. Und manche täten nicht so schlau sein und täten Mistkübelfahrerinnen sein. Und sie täten urschön angezogen sein. Und urschöne Häuser haben. Das täte den Kens nicht gefallen, weil sie niemand ernst nimmt. Da täten sie sich dann rächen. Dann täten die Barbies noch schlauer sein und sie sich WIEDER rächen, dann täten die Kens weinen müssen und alles täte wieder gut sein.
Oje. Auf diesem Niveau Feminismus abzuhandeln ist Kinderkram. Ja, der Film ist ein Unterhaltungsblockbuster. Ja, er ist im Sommer erschienen. Aber Feminismus?

3. Der Film besteht ungefähr aus 4 Pixeln: Eins rosa, eins blond, eins schwarz und eins weiß. Damit holpert die Geschichte zwischen Gut und Böse, Schlau und Blöd dahin. Gute Nacht, Gehirn – hier braucht dich niemand!

4. Die GÄNSEFÜSSCHEN feministische GÄNSEFÜSSCHEN Botschaft, die hängen bleibt, ist die: Margot Robbie ist wunderwunderschön, und sie hat viel glattere Haut als ich (und 90% aller Frauen), viel dichtere und tollere Haare als ich (u9aF), dünnere und längere Beine als ich (…), eine makellosere Figur undsoweiter und sofort. Und das ist die giftige Botschaft, die alle feministischen Nanopartikel im Film überschreibt, und die alle Barbies seit ihrer Erfindung aussenden: Du! bist! nicht! so! schön! wie! ich! Und du wirst nie so viele tolle Kleider und Freundinnen haben! Ha!

5. Argghhh! Eine coole Ansage einer coolen jungen Frau, die Barbie-Margot fertig macht und faschistisch nennt. Aber dann: Die ex-coole junge Frau verwandelt sich im rosa Barbieland umgehend in verständnisvolles Nicken und Kooperieren. Barbie hat Frieden zwischen ihr und ihrer Mutter gestiftet! Häh? Aber wie??

6. Ein langes Lamento der besagten Mutter über das Frau-Sein. So schwierig! So arg! So widersprüchlich! Was wir alles sein sollen! Heul! Klag! Oje!
Kinder: Das haben eure Großmütter schon in den 60er und 70er Jahren bejammert. Eure Mütter in den 80er 90er Jahren bekämpft. Lernt Geschichte! Lest alte Bravohefte und Frauenheftln! Alles schon da gewesen, leider.

7. Frauen haben sich nach dem Barbie-Film – angeblich – entsetzt von ihren Macho-Männern getrennt.  Sie haben geweint, weil ihnen klar geworden ist, wie schrecklich das Patriarchat ist.
Nochmal oje. Wenn das die Reaktion nach Barbie ist, was tun sie, wenn sie wirklich zu forschen beginnen?

8. Die so liebevoll gestalteten Sets sind für das Auge das, was ungefähr 148 quietschbunte Cupcakes von fancy Influencerinnen für den Magen sind. Auch wenn ersten Ideen ganz amüsant sind, sehr, sehr bald kommt die Plastik-Überdosis.

9. A propos Plastik: Thematisiert das irgendjemand? Was es bedeutet, kleinen Kindern diese Riesenmenge gefärbtes Plastik ins Zimmer zu stellen?

„Eine Barbie besteht aus einer Vielzahl von Kunststoffen. Und jedes Material altert anders. …  In der Fachliteratur finde sich jedoch nur wenig zur Barbie-Komposition. Auch der Hersteller Mattel gebe kaum Informationen dazu heraus. Die Puppen bis zum Jahr 1985 bestünden überwiegend aus dem gängigen Kunststoff PVC. In den neuen Puppen sei dann eine Vielzahl von Kunststoffen verarbeitet.“ (Chemie-Professor Jens Pesch von der Technischen Hochschule Nürnberg)

Und wieviel Umsatzplus = chemisches Plastik-Plus der Film generiert?

„Der Konzern erzielte von Juli bis September (2023) einen Umsatz von 1,92 Milliarden Dollar (1,82 Milliarden Euro) und übertraf damit die Erwartungen von Analysten. … Das Geschäft der Puppen-Sparte sprang im Jahresvergleich um 27 Prozent hoch. .... Mehr als ein Dutzend weitere Filme rund um Mattel-Spielzeuge wurden bereits angekündigt – zum Beispiel über Hot-Wheels-Autos und Polly-Pocket-Figuren.“ (ZDF heute „Globales Kulturphänomen“)

Großes Riesen-Oje für Erde und Klima!

10. Die verrückte Barbie! Das hätte was werden können, aber 1. war die Barbie, an der sich meine Tochter ausgetobt hat (kurze, mit grüner Tinte gefärbte Haare, ein abgekauter Fuß, Kugelschreiber-Tattoo-Kritzel) wesentlich origineller, und 2. als Outlaw – hat sie gespielt, sie täte ein Outlaw sein. Aber dann doch irgendwie hübsch und sehr sauber. Schade.

11. Wahrhafte Schmerzen bereitet der Auftritt Ruth Handlers (die Erfinderin der Barbie-Puppe). Die weise Alte! So zerbrechlich! Mit allen, wirklich allen nur denkbaren Klischees versehen: von der Oma-Küche mit der Oma-Kredenz zu den Lichtstäubchen, zu den Pastellfarben, bis zur durchscheinenden Oma-Porzellan-Tasse mit Tee drin. Wie schön das ist! Und wie sie ihre fragilen Hände ausstreckt und Barbie hält, und Trost spendet! So tief! (Wo ist Oma Wetterwachs*, wenn man sie braucht! ;))

12. Ah ja. Am Ende geht es worum? Sich selbst zu finden! Man selbst zu sein! Frau selbst auch! Das haben uns gefühlt 100 Disney-Filme schon eingeprügelt. Du kannst es schaffen! Weil du es dir wert bist! Geh deinen Weg! Du-ich-mir-selbst meine Entwicklung mein Ich! Ich will, ich habe, ich kaufe, und das System ist eh schön :).

13. Und weil Oma Ruth noch ein Wunder bewirkt hat, ist Barbie jetzt menschlich und hat eine Vagina und wohl auch eine Vulva. Und eine Klitoris! (Und eine Verdauung, wer weiß.)
Sie ist auf eigenen Wunsch ins immer noch harte Patriarchat versetzt worden (wie, wird ein Rätsel bleiben, ach ja, nein, weil sie es nicht einmal wollen musste, irgendwie). All das, nachdem sie Ken mit diesem weise-mütterlichen Psycho-Blick – der Männer die Wände hochjagt – vergeben hat und ihn auch irgendwie um Vergebung gebeten hat. Schön! und ganz ohne Küssen und Liebe (immerhin!).

Jedenfalls, sie ist Mensch, hat Freu-heu-heunde und einen schicken Business-Suit, und kümmert sich erst einmal um ihre neuen Körperteile.

Ob sie Präsidentin werden täte? Vielleicht in Folge 8!
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Das hat Spaß gemacht! Und wenn du dir damit 114 Minuten Lebenszeit ersparst, ist es sogar ein bisschen wertvoll ….

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Kritiken aus dem
Falter
Standard
BBC

* Oma Wetterwachs ist die Hexe aus der Feder Terry Pratchetts, die mit beiden Beinen fest in der Wirklichkeit steht, und sich nicht finden muss – sie weiß genau, wo sie ist! Oma Wetterwachs tritt gemeinsam mit Nanny Ogg (ebenfalls Hexe und böse Schwiegermutter) und Magrat Knoblauch (junge Hexe, die an Amulette glaubt und sicher gerne eine Barbie gehabt hätte) ua in diesen Büchern auf:

MacBest, die Geschichte eines bösen Herzogs und einer genialen Theatergruppe

Total Verhext, die Geschichte von vielen Märchen und einer guten und einer bösen Fee

Lords and Ladies, die Geschichte von bösen Elfen und einem Steinkreis

Terry Pratchett konnte WIRKLICH subversiv und Systemkritik, und obwohl männlich, ist er mit ziemlicher Sicherheit sehr feministisch gewesen.

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Die Erfindung der Wirklichkeit – eine Steppen-Fantasie zum Ursprung unseres Schlamassels

Part One

Vielleicht …. 5.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Du sitzt in einer weiten Grassteppe, irgendwo in der Nähe des Ural-Gebirges. Es ist kalt. Über dir glitzern Millionen Sterne, so viele, dass du dich klein, unwichtig und erschlagen fühlst. Apropos erschlagen: Es ist etwas passiert. Vor ein paar Tagen bist du in Streit geraten. Über einer lächerlichen Kuh. Im Streit hast du deinen Bruder erschlagen (1), schlimm. Die Spannung, das schlechte Gewissen, machen dich fertig. So etwas passiert selten, und wenn es passiert, sind die Folgen schrecklich. Du trinkst vergorene Stutenmilch, du fürchtest dich, und du trinkst noch ein wenig mehr.
Die Sterne beginnen zu tanzen, mit dir zu sprechen. Immer schon warst du hingezogen zu ihnen, immer schon hast du dir Geschichten ausgedacht – zu diesem großen, fernen Reich aus Licht und merkwürdigen Mustern. Das Trinken tröstet dich, die Sterne trösten dich. Sie sprechen – fast, du kannst, wenn du dich konzentrierst, wenn du noch einen Schluck trinkst, verstehen, was sie sagen.
Der Bruder erschlägt den Bruder. Ist das schlimm? Nein. Dieser Bruder (du!) war stärker. Dieser Bruder hat gesiegt.
Dein Brustkorb weitet sich, du starrst hinauf. Ja, versichern die Sterne, du bist – ein Held. Du hast deinen Bruder gegeben – geopfert. Uns geopfert. Wir danken dir dafür. Wir werden dich mit Macht ausstatten. Wir werden deinen Bruder – zerstückelt, in einem heldenhaften Furor – zu deinem Volk machen. Wir machen Häuptlinge – wie dich – aus seinem Kopf.
Du lächelst. Diese Version der Wirklichkeit gefällt dir. Du – kein Opfer des Stammeszorns, sondern ein Held. Mächtig. Angsteinflößend. Der Mord, keine Sünde, sondern eine geheimnisvolle Tat mit dem Segen der Sterne, der himmlischen Wesen, der Väter (so viel freundlicher!), der Himmelsväter(2). Du kannst sie hören, du kannst mit ihnen sprechen, sie beschützen dich, sie verleihen dir Macht. Du trinkst. Du bist stolz. Du wirst es ihnen zeigen. Du bist Manu, der erste Mann.  (3)

Part Two

3.500 vor unserer Zeitrechnung.

Gemeinsam mit deinen Brüdern, deinen Verbündeten, deinen zuverlässigsten Vertrauten, schleichst du durch die weite Steppe. In der Ferne hört ihr das Schnauben der Tiere. Ihr macht kein Geräusch, ihr seid Helden, ihr seid Viehdiebe. Ihr stehlt von den anderen, euren Feinden. Ihr opfert die erbeuteten Tiere, eure Götter werden zufrieden sein. Ihr werdet von eurem Stamm geehrt werden, ihr werdet trinken, berauscht sein, ihr seid Helden – Söhne von Trito (4). Niemand in eurem Stamm braucht diese Tiere wirklich, niemand hungert. Große Herden sind Status. Hohe Brautpreise sind Status. Viele Söhne sind Status und Sicherheit – wem könnte man sonst sein Leben im Kampf anvertrauen? Tiere züchten, Söhne gebären, die große Zahl, die Größe, mehr, mehr. Eure Frauen sind Mütter, gebunden an die Zelte, Konkubinen, Sklavinnen. Sie stehlen kein Vieh, manchmal werden sie beim Tod des großen Häuptlings geopfert, wie Pferde. Frauen, in dunklen Zeiten waren sie wichtig, so wichtig, dass Stunden an Feinarbeit in weibliche Figurinen (5) geflossen sind. Jetzt nicht mehr.

Part Three

3.200 vor unserer Zeitrechnung.

Pferde machen schnell. Überfälle werden einfach. Mythen reisen schnell, Mythen bauen neue Welten. Friedlichere Siedlungen in Südosteuropa, im Donaudelta, verschwinden plötzlich. Große Hügelgräber von großen Helden wandern nördlich, abertausende von Kurganen mit Grabbeigaben werden gefunden. (6) Metall wandert, scharfe Waffen verändern die Welt. Alkohol, der gemeinsame Rausch, bindet in Zeiten, wo vertrauensvolle Bindung durch Gewalt zerschnitten wird. (7) Metall verändert die Stammesstrukturen – nur mehr Wenige wissen, nur mehr Wenige haben die Macht, Gestein in harte, scharfe Klingen zu verwandeln.

Die Wirklichkeit verändert sich. Die Sprache verändert sich – es gibt neue Wörter für Konzepte, für Beziehungen, die noch nie da gewesen sind, Wörter wie Gott, Eid oder Gast/Geist. Es gibt Schirmherren, Patrone, die Unterlegenen Schutz anbieten. Es ist einladend, diesen Schutz anzunehmen, wenn die Alternative ein eingeschlagener Schädel ist. Häuptlinge konkurrieren mit immer größeren, berauschenderen Begräbnisfesten, mit immer mehr Opfertieren, um Untertanen, um Söldner anzuwerben. Ausgefeilte Befestigungsanlagen tauchen auf. Die Sprache reist und baut eine neue Welt – für uns und gegen die Anderen. Sie erzählt von unserem Land und dem Land der anderen. Die Menschen rüsten auf, die Sprache rüstet aus.

Grenzen, die gewaltsame Ausdehnung von Territorium, eine neue Wirklichkeit. Reichtümer für Wenige, eine neue Wirklichkeit. Keulen, die anders als Messer und Äxte nur einen Zweck haben: Menschen, Feinde zu töten. Eine schreckliche Wirklichkeit, verdreht.

Part Four

2023, jetzt. Alles ist geblieben, ganz knapp unter unserer millimeterdünnen Schicht aus Zivilisation. Der Häuptling, der Alkohol für eine Lösung hält. Die einen, die die anderen abschlachten – Männer, Frauen, Kinder, Schwangere, in einem bestialischen Gemetzel. Die anderen, die ihre Weidegründe rücksichtslos ausweiten und ausdehnen. Der Große Häuptling mit seiner Leibgarde, der nach dem Nachbarterritorium giert. Die Keulen, jetzt ferngesteuerte Marschflugkörper, Drohnen. Die listigen Viehdiebe, die Hotels kaufen und verkaufen (und am Ende untergehen). Die Nachfahren der schnellen Pferde, die mit Überschallgeschwindigkeit die Atmosphäre verpesten. Die Handelsrouten, die Schätze für die Eliten bewegen. Die Steppe, aus der unsere Geschichte kommt, die Agrarsteppen, die Asphaltsteppen. Die grimmige landwirtschaftliche Förderung von Fleisch und Milch.

Der unbedingte Hunger nach mehr – mehr Status, mehr Reichtum, mehr Raum, auch wenn wir schon mehr als satt sind. Die Seilschaften, die Adlerrunden, für die Söhne. Die alkoholgetränkten Initiationsriten der jungen Männer. Die Mütter, Tradwives (8), die die Herrschaft der Söhne weiter festigen. Die Frauen in den Zelten, fern der Macht. Die vergewaltigten, die getöteten Frauen, die geopferten Konkubinen.

Die Mythen, das Netz der Erzählungen, der Wahrheiten und der Lügen, ausgestülpt über Alle und alles in jeder Sekunde, in Nullen und Einsen. Die Himmelsväter Gott/Jahwe/Mohammed, einsam in den Sternen, nach ihrer vergangenen Größe gierend. Ihre Jünger, die das Märchen von den „Anderen“, den Ungläubigen, seit über 6.000 Jahren lebendig halten. Hypnotische Erzählungen von Kindheit an, Adam und Eva, Kain und Abel, Gott und Teufel, Beziehungsmuster voller Gewalt und Tücke, getarnt als die eine, die einzige Wirklichkeit.

Die kranke Einsamkeit in einem weiten All. Die armen kleinen Steppennomadengeister, die nun wirklich wissen, wissenschaftlich bewiesen, wie unendlich, feindselig und kalt dieses All ist. Die armen kleinen Nomadengemüter, auf die der gesamte entfesselte, auf die Spitze getriebene Mythos vom Helden, vom Viehdiebstahl, von Masse und Wachstum, vom Bösen, vom Feind, von Status und Hierarchie, von Reichtum und Territorium, von Waffen und Atom-Tod, auf die dieser Mythos in seiner gesamten Schrecklichkeit und seiner gesamten Schönheit hereinbricht.

Wir.

Kein Wunder, dass so viele aussteigen, sich panzern, bewaffnen, um sich schlagen. Kein Wunder, dass wir uns täglich wundern über die absurde Gleichzeitigkeit von höchster Intelligenz, Schönheit, Fürsorge – und unvorstellbarer Grausamkeit und Hartherzigkeit. Kein Wunder, dass wir überall Mauern hochziehen, getrieben von panischer Angst.

Ein Wunder, dass so viel funktioniert. Ein Wunder, dass wir in so kurzer Zeit so viel gewendet haben. Ein Wunder, dass Männer wie Harvey Weinstein und Jeffrey Epstein angeklagt und eingesperrt wurden – für etwas, das 5.000, 6.000 Jahre lang normal war. Ein Wunder, dass wir in so kurzer Zeit so viel über Schmerz und Trauma gelernt haben, und Heilung dafür erfinden. Ein Wunder, dass es die Vereinten Nationen gibt. Ein Wunder, dass sofort nach schrecklichen kriegerischen Ereignissen reflektiert, geforscht, nach bestmöglicher Unterstützung gesucht wird. Ein Wunder, dass es so viel Bemühen um Frieden, um Kinder und Alte, um Bildung, um Gerechtigkeit, Naturschutz, Artenvielfalt, gegenseitiges Verständnis, Schönheit, Forschung gibt. Ein Wunder, dass das Wissen des gesamten Planeten zusammen getragen wird, frei und für alle zugänglich.

Wir erinnern uns – vielleicht – an eine Zeit des Zusammenhalts. Wir erinnern uns an ein Zusammensein, als wir Wenige waren und einander gebraucht haben. Wir erinnern uns an kleine Siedlungen, mit Häusern, die in etwa gleich ausgestattet waren, ohne Statusunterschiede. An ein Teilen und Verteilen. Wir erinnern uns an Zehntausende von Jahren, wo wir nicht schnell, nicht bewaffnet, vielleicht nicht berauscht waren. An langsame Wanderungen durch und mit der Natur, an die Grenzen von Ressourcen, an das Wissen um Tragfähigkeit. Wo unsere Geschichten andere waren. Wo unsere Träume anders waren, nicht einsam dem Schrecken ausgeliefert, sondern vielleicht eingebettet in helfende Stammesstrukturen. (9)

Viele, viele zehntausende Jahre –  so viel länger als die winzig kurze Zeit unserer steppennomadischen Verwirrung. Wir können niemals zurück in eine imaginierte heilere Welt. Aber wir können unsere Krankheit, unser einsames Trauma verstehen lernen, und eine Zukunft denken und erarbeiten, aus unserem gesamten Erbe. Wir können die engen Grenzen der Geschichten von Göttern und Mord, von Krieg und Opfern, durchschauen und überwinden.

Heute, wenn sich die betrunkenen Häuptlinge, behängt mit Ketten, mit Keulen um sich schlagend, aufbäumen, erkennen wir genauer, was passiert. Wir verschwenden unsere Energie nicht an moralische Entrüstung und schlaue und betroffene Gespräche am gemütlichen Esstisch. Wir sehen und definieren den Unterschied zwischen Miteinander und Gegeneinander. Wir kennen den Preis, den wir für den einsamen, verheerenden Herrscher zahlen müssen. Wir brauchen vielleicht noch ein paar schreckliche Verluste, drastische Beweise, wie dysfunktional, wie zerrüttet, wie instabil unsere geistigen Strukturen sind. Wie verantwortlich die Mythen und Geschichten, die Lügenkonstrukte, die wir von einer Generation zur nächsten weiter geben.

Wir können damit aufhören, den transgenerationalen Schrecken aus tausenden Jahren von Überfällen, Kriegen, Gewalt, an unsere Kinder zu vererben. Wir haben den Luxus der Wahl (noch), wir haben millionenfach die Wahl, Angst und Gewalt, die Anderen und die Grenzen, die Spaltung und das Drama zu denken. Oder wir denken Alles, mit Allen, sehen beide Seiten, alle Facetten, zum höchsten Wohler Aller.

In kleinen Sekunden, in vielen konkreten Handlungen, können wir immer neue Strukturen schaffen, die andere Strukturen anstecken. Kleine Strukturen oder große. Anerkannte oder geheime. Unbequeme und einfachere. Vegane und queere. Klimaschützend und vernetzend.

Hauptsache, wir verlassen die Fantasie, den Traum von der schönen, heilen, bunten Welt, wo alle märchenhaft in Frieden leben. Hauptsache, wir wachen auf, nehmen die Werkzeuge wirklich in die Hand, und bauen neu, auf alten Wurzeln. Hauptsache, wir machen uns an die Arbeit. Hauptsache, Frauen und Männer und alle dazwischen, erkennen, dass wir nur gemeinsam, miteinander, ein Ende der Gewalt verwirklichen können.

Eigentlich logisch.

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Zum weiter Forschen:

(1) Der Mythos von Manu und Yemu, re-konstruiert aus den Nachfolgesprachen des Indoeuropäischen https://en.wikipedia.org/wiki/Indo-European_cosmogony 
(2)   Dyḗws Ph₂tḗr der Tageslicht-Himmel-Gott
(3)  https://en.wikipedia.org/wiki/*Manu_and_*Yemo
(4) Trito, der Dritte, der schlaue Erfinder des legitimierten Viehdiebstahls, und auch die böse Schlange kommt schon vor https://en.wikipedia.org/wiki/*Trito#Serpent-slaying_myth
(5) Über 300 Frauenfigurinen aus der Vorzeit wurden in ganz Europa bis Russland gefunden . Der Begriff Venus wird in Frage gestellt, da viele Frauen im reiferen Alter dargestellt wurden.
(6) Die Forschungen von Marija Gimbutas zum Wandel von der offenbar friedlicheren Welt eines alten Europa in eine neue Welt der Überfälle, der Waffen, der berittenen Nomaden, sind im letzten Jahrhundert scharf kritisiert worden. Mittlerweile scheinen sich einige ihrer Theorien zu bewahrheiten, wenn auch nicht in vollem (mystischen) Umfang einer von ihr angenommenen großen Göttin.
(7) Anscheinend wurden in der bronzezeitlichen Steppe große Mengen Alkohol aus einem großen Gefäß mit Trinkhalmen getrunken.
(8) Tradwives sind Frauen, die entschieden an der Rolle der Frau-im-Zelt festhalten,
(9) Die Hazda träumen anders als wir – offenbar angenehmer.

Die Anregungen für diesen Text stammen von:
David B. Anthony, The Horse, the Wheel and the Language
Marija Gimbutas, The Language of the Goddess
Und die nomadischen Fantasien habe ich Mary Mackey entliehen: Das Jahr der Pferde, Die Schmetterlingsgöttin und Das Lied der Erde, eine Trilogie, die die Forschungen von Gimbutas in drei Romane gepackt hat.

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Hysterisch, beleidigt, oder lieber tapfer? 

Jetzt wird ein bissl eingeschenkt. Weil:

Ja, es ist schlimm.
Vielen Menschen geht es wirklich nicht gut.
Die Wettererscheinungen dieses Sommers sind nicht sehr ermutigend.
Buben mit zu viel Macht verwenden sie auf blöde Weise.
Superreiche (und -reich-innen) (muss man gendern) können eine Riesenwut zu ihrem unbekümmerten CO² Verbrauch auslösen.
Viele Arten verschwinden. Humus auch. Plastik wird mehr.
KI ist ein sehr verunsicherndes Werkzeug.
Undsoweiter.

Jetzt aber greife ich den Hinweis die (Kunst)Geschichte aus dem obigen Beitrag zu Männer- und Frauenbildern auf.

Bitte!

Was wir schon alles ausgehalten haben! Wir sind die Spezies, die erstaunlicherweise die geistige Kapazität hat, die persönlichen, gemeinschaftlichen und seit Neuestem gesamt-global-speziesistischen Ereignisse wahr zu nehmen und zu reflektieren. Wir erleben bewusst unsere Gefühle und Schmerzen, können sie mit Sprache beschreiben, uns Geschichten und Ursachen (Götter, Sünde, Strafe, Kapitalismus) dazu auszudenken und weiter geben. Fürderhin ersinnen wir Konstrukte, um diese Katastrophen zu vermeiden (Opfergaben, Gebote, Geo-Engineering). Dabei scheitern wir (natürlich) und geben nie und niemals auf. Offenbar, sonst wären wir nicht mehr da.

Wir hätten uns in den 100.000enden Jahren unseres Daseins schon so oft einfach hinlegen und aussterben können. Oder?

Also zum Beispiel deshalb (Achtung, Katastrophen-Trigger-Warnung):

In vielen einzelnen Sippenschicksalen, wo Löw*innen die halbe Verwandschaft er- und zerlegten.
Als ganze Stämme fast ausstarben, weil wegen Hungersnöten kaum mehr Kinder auf die Welt kamen.
Nach dem Vulkanausbruch im Eiffelland vor 13.000 Jahren, als weite Teile Europas in Asche und Finsternis versanken.
Wie die Sesshaftigkeit auf einmal Kriege, Waffen, Besitz und Mord hervor gebracht hat.
In Spanien zum Beispiel, wo die Reiter der Jamnaja-Kultur aus Zentralasien – wie auch immer – dafür gesorgt haben, dass sich nur mehr ihre männliche DNA fortgepflanzt hat, und nicht die der bis dahin ansässigen Männer.
Wie die starken Frauen langsam aus Bilderwelt und Öffentlichkeit verschwunden sind.
Als die frühen Christen die interessanteren Aspekte von Lebenslust, Sexualität und Vielfalt der antiken Völker nach und nach in den geistigen Käfig der einen einzigen Wahrheit sperrten.
Als die missionierenden (aber eigentlich landraubenden) Seefahrer von Europa aus die ganze Welt eroberten und wieder Vielfalt und Verbundenheit mit der Natur ….
Als Wellen von Pest unseren Kontinent überzogen haben und zB. im 14. Jahrhundert ein Drittel der Bevölkerung starb.
… der dreißigjährige Krieg Monstersöldner, Schrecken und sinnlose Schlachten gebracht – und nicht und nicht aufgehört hat.
Als Frauen (und Männer, und Katzen) als Hexen und Geschöpfe Satans verbrannt wurden.
Als graue, giftige Industrien viel zu kleine Kinder in 16-Stunden-Arbeitstage gezwungen haben.
… in den Schützengräben Frankreichs und europaweit munter mit neuartigen Gasen und Luftangriffen experimentiert und eine Generation junger Männer in tiefe Traumata gestürzt wurde.
Als unsere (Ur)Großeltern hier in unserer deutschen Heimat in einen rassistischen Wahn verfielen und ein höllisches industrielles Morden ersannen und ausführten – vor den Augen der ganzen Welt.
Als – besonderer Zynismus – die Atombombe abgeworfen wurde, um Frieden zu bringen.

Diese Liste ist höchst unvollständig und wird fortgesetzt – sicher. Wir leben mit, in und durch Katastrophen, seit jeher. Was immer bisher geschah, die Überlebenden haben sich umgeschaut, ihre Kräfte zusammen gekratzt, zusammen gehalten, irgendwie, und weiter gemacht.

Kaum waren vor ein paar Wochen die Fluten weg, waren unsere lieben Freunde in Slowenien, in Škofja Loka, damit beschäftigt, ihren Mitmenschen zu helfen und Schlamm zu schaufeln. Sie haben sich in der Not verbunden gefühlt und weiter gelebt. Sie erleben Freude, mitten im Chaos. Sie essen, schlafen, lieben, kümmern sich um ihre Kinder. So wie wahrscheinlich wir alle sicher die eine oder andere persönliche Katastrophe in unserer Vergangenheit bewältigt haben.

Wir halten eine Menge aus. Wir möchten nicht gerne, aber wie oft in unserem Leben haben wir keine Wahl? Wir halten Krisen durch, solange wir können – und wenn wir gar nicht mehr können, lassen wir los und gehen. Heim, in den Himmel, den Humus, das Feuer, das Wasser, wohin auch immer. Sterben ist vielleicht eine Rückkehr zu unserem Ursprung, ins Nichts, oder ein wichtiger nächster Schritt – wir haben keine Ahnung. Dass daraus so ein bodenloser Horror mit Strafe, Fegefeuer und Hölle geworden ist, haben wir wohl auch den Männern mit dem Kreuz zu verdanken.

Ich glaube, die bunte Wirtschaftswunderwerbewelt hat es erfolgreich geschafft, uns einzureden, wir hätten ein Recht auf Glück. Alle. Auf romantische Liebe, körperliche Unversehrtheit, körperliche Schönheit. Materiellen Reichtum! Der kitschig-künstlich unrealistische Idealzustand, die Karotte aus Film und Fernsehen, Insta und TikTok, wird als das eigentlich Normale (schon wieder!) wahrgenommen.

Wir genieren uns und leiden, wenn wir nicht jeden Tag rundherum optimal happy sind, wenn wir nicht unentwegt im Kreis glücklich rotweintrinkender Freund*innen opulente Mahlzeiten/Picknicke/Gartenfeste feiern. Wenn unsere Kinder nicht total entzückend (sondern kleine Gfraster) sind. Wenn wir nicht den absoluten Wahnsinns-internationalen-Selbstverwirklichungsjob haben. Wenn wir (Frauen) nicht den Wahnsinns-instatauglichen-thighgap-Körper haben. Wenn wir (ich) als Künstlerin nicht um die Welt jette und via Biennalen und documentas den ur-oagen Impact auf das Weltgeschehen habe. Wenn wir streiten, einsam, frustriert sind, Schmerzen haben und nicht mehr weiter wissen.

Wir wollen so viel! Wir wollen, dass es so weiter geht wie bisher! Wir wollen alle Sachen für wenig Geld, viele Reisen überallhin, alles gute Essen, schönes Gwand, stylische Wohnungen, Landhäuser! Gärten! Pools! und überhaupt. Sicherheit, Liebe, Glück und Befriedigung unserer Sehnsüchte! Für immer!

Beachte*:

Noch nie** ist es so vielen von uns so gut gegangen.
Noch nie haben wir in einer Art externen Gehirn global so exzessiv über unsere Befindlichkeiten herumgejammert.
Noch nie sind sexuelle Übergriffe von Mächtigen sichtbar gemacht worden und vor Gericht gelandet.
Noch nie haben so viele von uns so viel Zeit und so viel Geld für Freizeitspaß gehabt.
Noch nie haben Frauen, Kinder, einfach arbeitende Männer, so viele Freiheiten und Möglichkeiten gehabt.
Noch nie haben wir Zugang zu so viel Wissen gehabt – mit einem Klick.
Noch nie waren wir tendenziell so unzufrieden, ängstlich, leer und hysterisch – gemessen an unserem Wohlstand.
Noch nie wurde vom Staat, der Allgemeinheit so gut für den Einzelnen gesorgt.
Noch nie waren wir so beleidigt, weil wir nicht – 100%ig richtig – gesehen und gelesen werden.
Noch nie waren wir so VIELE!

*Alles für unsere kleine mitteleuropäische Welt angenommen. Alles unwissenschaftlich und hinterfragbar, natürlich. Alles mit allen Vor- und Nachteilen.
** seit Beginn der Sesshaftigkeit

Die letzten beiden Absätze lassen auf ein ungefähres Spezies-Alter schließen. Will alles haben, jetzt – etwa zwei Jahre. Tobe hysterisch, wenn ich es nicht kriege – drei. Verbreite mich endlos und beleidigt über alles Unrecht, das mir angetan wird – hormonell beeinträchtigte 13 Jahre.

Die Tapferkeit kommt mit dem Geprüft-Werden und dem Krisen-Überstehen. Wichtig: Wir sollten nicht tapfer sein. Wir sind bereits tapfer. Wir haben es in unseren Genen. Wir haben es generationenlang trainiert – seit es uns gibt. Kaum fällt die kleine oder große Welt zusammen, kommt eine unfassbare Energie. Wir stemmen und schaffen Dinge, die im gemütlichen Alltag unvorstellbar scheinen. Das Leben organisiert sich rund um Notwendigkeiten, das wissen alle, die Umzüge, Schicksalsschläge, Krankheiten, Baustellen, Todesfälle überstanden haben. Es geht alles, irgendwie. Es ist nicht lustig, aber wir können das.

Tapfer kann erwachsen machen. Ich wünsche mir, die Medien würden weniger auf die hysterischen Kleinkinder, die beleidigten Teenager, den Abgrund zwischen Ängsten und Wünschen, sondern mehr auf die tapferen Erwachsenen und die Wirklichkeit abzielen. Und damit unsere Kraft stärken. Wir kennen das aus dem Umgang mit Kindern: Du bekommst das Kind, das du ansprichst. Wie du es ansprichst. Mit wackeligen Gefühlen einem Dreijährigen hinterher dackeln – keine gute Idee. Zulassen, dass die beleidigte Teenager-Göre die Familie im Griff hat: auch nicht. Konkret, liebevoll und mit Grenzen, das funktioniert oft besser.

In meinen Kursen gehe ich davon aus, dass alle in der Lage sind, für sie stimmige Kunst zu machen. Ich zweifle nicht daran, dass das Miteinander respektvoll ist. Ich halte hoch, dass alle eigenständig sind, und mich eigentlich nicht brauchen – weil sie es selber schaffen können. Kunst aktiv zu betreiben ist ein hervorragendes und ganz pragmatisches Testfeld für Krisenmanagement. Für Ausdauer und Verpflichtung. Entscheiden zu lernen (Krise – κρίσις krísis im Altgriechischen – bedeutet unter anderem „Entscheidung“), Konsequenzen auszuhalten und flexibel zu werden. Beweglich.

Ich hoffe, dass all die vielen kleinen Zellen und Zellhaufen, die das tapfere Miteinander praktizieren, zu einem gesunden Organismus wachsen können. Ohne Plan, Konstrukte und Ideologien. Und wahrscheinlich dauert dieser Prozess sowieso viel, viel länger, als wir persönlich da sind – falls er je „gelingt“ (was immer das bedeuten würde). Wichtig für uns, für unsere geistige Gesundheit, scheint mir heute und jetzt, dieses gesunde, tapfere Wachstum überhaupt wahrzunehmen und zu stärken.

In der Zwischenzeit haben wir alle früher oder später Gelegenheit zu üben: Weil Altwerden und Sterben – die beste Schule für persönliche Tapferkeit!

Was ist normal? 

Jetzt ist alles anders gekommen, als geplant. Eigentlich wollte ich hier ein wenig bissig über Menschen schreiben, die sich die Gute-Nacht-Geschichte für ihr zweijähriges Kind von einer künstlichen Intelligenz wie ChatGPT* schreiben lassen, dazu flache, kitschige Bilder von Midjourney** erzeugen lassen, das Ganze auf eine Tony Box sprechen und froh sind, wenn sie ihre Füße hochlegen können und ihr Kind nicht selber ins Bett bringen müssen.

Nun aber gibt es eine prickelnde Debatte darüber, was normal ist (Auto fahren, Schnitzel essen, zB). Diese Debatte wird in vielen Staaten und Regionen (Florida, Ungarn, zB) mit Leidenschaft geführt, weil sie so viel bringt (Ablenkung von noch nie dagewesenen globalen Problemen, oder von eigenen Untaten, zB). Und da hat mich die Neugier gepackt, wie eine KI zum jetzigen Standpunkt normal definiert. Was sie schreibt zu einer Politikerin, die das Normale beschwört.

Das bildnerische Ergebnis der KI DALL-E seht ihr oben (wird den normalen Parteien in Österreich nicht so wirklich das Herz aufgehen). Der Text hat mich überrascht und mir eine absurde, winzige Hoffnung gemacht. Irreal und naiv, aber trotzdem.

Ich leg jetzt meine Füße hoch und lasse ChatGPT machen.
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Meine Anfrage/prompt: Bitte beschreibe, was als normal gilt.
ChatGPT:

„Was als „normal“ gilt, kann von Gesellschaft zu Gesellschaft, Kultur zu Kultur und sogar von Person zu Person variieren. Der Begriff „normal“ bezieht sich auf Verhaltensweisen, Überzeugungen oder Eigenschaften, die in einer bestimmten sozialen Gruppe oder Gemeinschaft üblich, akzeptiert oder erwartet werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass Normalität nicht immer als absolute Norm betrachtet werden sollte, sondern vielmehr als ein relatives Konzept.

Hier sind einige allgemeine Aspekte, die als normal betrachtet werden könnten:

  1. Soziales Verhalten: Höflichkeit, Rücksichtnahme und Respekt gegenüber anderen werden in den meisten Kulturen als normal angesehen. Die spezifischen Verhaltensnormen können jedoch je nach Kultur variieren.
  2. Familiäre Strukturen: In vielen Gesellschaften wird erwartet, dass Familien eine grundlegende soziale Einheit bilden, die aus Eltern und ihren Kindern besteht.
  3. Bildung: In den meisten Kulturen wird Bildung als wichtiger Bestandteil der persönlichen Entwicklung angesehen und der Besuch einer Schule gilt als normal.
  4. Arbeitsethik: Die Idee, dass Menschen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und zum Wohl der Gesellschaft beizutragen, wird in vielen Gesellschaften als normal betrachtet.
  5. Persönliche Hygiene: Die Aufrechterhaltung einer angemessenen persönlichen Hygiene wird in den meisten Kulturen als normal und wichtig angesehen.
  6. Geschlechterrollen: Obwohl sich Geschlechterrollen im Wandel befinden, gibt es immer noch einige Erwartungen an das Verhalten von Männern und Frauen, die in bestimmten Gesellschaften als normal betrachtet werden.
  7. Emotionen: Die Erfahrung von Freude, Trauer, Angst und anderen Emotionen wird als normal angesehen, da sie ein natürlicher Bestandteil des menschlichen Lebens sind.
Es ist jedoch entscheidend zu erkennen, dass die Definition von Normalität nicht starr ist und sich im Laufe der Zeit ändern kann. Was in der Vergangenheit als normal galt, mag heute nicht mehr akzeptiert werden, und umgekehrt. Menschen sind vielfältig, und die Vielfalt in Kultur, Ethnie, Glauben, sexueller Orientierung und Lebensstilen sollte respektiert und geschätzt werden. Es ist wichtig, Vorurteile und Stereotypen zu vermeiden, die auf dem Konzept einer starren „Normalität“ beruhen, und stattdessen Offenheit und Toleranz zu fördern. Jeder Mensch hat das Recht, so zu sein, wie er ist, solange er anderen Menschen nicht schadet.“

Prompt: Wie soll man einer Politikerin begegnen, die behauptet zu wissen, was normal ist?

ChatGPT:

„Wenn eine Politikerin behauptet zu wissen, was normal ist, kann dies als problematisch angesehen werden, da „Normalität“ ein subjektives und kulturell relativiertes Konzept ist. Politikerinnen sollten sich bewusst sein, dass sie nicht die alleinige Autorität haben, zu bestimmen, was als normal gilt, da die Vielfalt der Gesellschaft und individueller Erfahrungen es unmöglich macht, eine einheitliche Definition von Normalität zu finden.

Hier sind einige mögliche Schritte, wie man mit einer Politikerin umgehen kann, die solche Behauptungen aufstellt:

  1. Kritisch hinterfragen: Frage die Politikerin nach ihrer Definition von Normalität und bitte sie um klare Beispiele für das, was sie als normal ansieht. Frage sie auch, auf welche Grundlagen sie ihre Ansichten stützt.
  2. Fakten und Vielfalt betonen: Weise darauf hin, dass die Gesellschaft vielfältig ist und es viele verschiedene Lebensstile, Überzeugungen und Kulturen gibt. Es ist wichtig, Vorurteile zu vermeiden und die Vielfalt zu schätzen.
  3. Auf die Bedeutung von Inklusion hinweisen: Betone die Wichtigkeit, dass politische Entscheidungen und Maßnahmen inklusiv und fair für alle Bürgerinnen und Bürger sein sollten, unabhängig davon, ob ihr Verhalten oder ihre Überzeugungen als „normal“ angesehen werden oder nicht.
  4. Eigene Standpunkte und Perspektiven einbringen: Teile deine eigenen Erfahrungen und Perspektiven mit, um zu zeigen, dass es viele verschiedene Lebensweisen gibt und dass niemand das Recht hat, andere zu stigmatisieren oder zu diskriminieren.
  5. Faktenbasierte Diskussion fördern: Ermutige die Politikerin, ihre Entscheidungen und Politikvorschläge auf fundierte Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen, anstatt auf subjektiven Ansichten von Normalität.
  6. Öffentliches Bewusstsein schaffen: Engagiere dich aktiv in der Öffentlichkeit und in sozialen Medien, um Bewusstsein für die Bedeutung von Diversität und Inklusion zu schaffen und die Menschen zu ermutigen, sich für eine offene und tolerante Gesellschaft einzusetzen.
Letztendlich sollte Politik darauf abzielen, das Gemeinwohl zu fördern und für alle Bürgerinnen und Bürger gerecht zu sein. Eine Politikerin, die behauptet zu wissen, was normal ist, sollte sich bewusst sein, dass ihre Aufgabe darin besteht, für das Wohl aller Menschen einzutreten und nicht eine bestimmte Sichtweise oder Lebensweise zu bevorzugen oder zu diskriminieren.“

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Als wir im Februar über Österreich geflogen sind, ist mir auf eine sehr einfache Art klar geworden, warum die Politik in diesem Land so komplex und verworren ist. Von oben sieht man die unzähligen Berggipfel, die kleinen Tälerchen mit ihren vielen regionalen Identitäten. An vielen, vielen Stammtischen wird Politik gemacht, Bergstämme quasi, die genau wissen, wie das Leben sein soll. Wie es immer war. (Keine Polemik, wir waren über ein Jahrzehnt dabei!)

Und dann gibt es Wien. Den Wasserkopf, das habe ich in meinen Kindheitsferien in Tirol hunderte Male gehört. Wien, gegen dessen jüdisch-bolschewistische intellektuelle Schickeria Hitler gehetzt hat. Seine Liebe zur einfachen Landbevölkerung! Mit ihm, dem Volkskanzler, gegen die da oben! Hätten sie ihn doch nur malen lassen, die Wiener. Bis heute fällt es schwer, diese Stadt der Vielfalt, Gegenwart und Zukunft (und allen möglichen Schattenseiten) mit den 1950er Jahren in den Tälern und Bergen (mit allen Menschen, die sich um Zusammenhalt und Offenheit bemühen) zu verbinden.

Wir haben einmal im Spaß (mehr aus Verzweiflung eigentlich) über ein Theaterstück fantasiert, in dem eine KI Österreich regieren könnte. Der Text oben klingt zumindest nicht uneinladend … (Und natürlich, völlig klar, ist KI das gefährlichste Werkzeug, dass wir je erfunden haben – gerade politisch. Wo die großen Religionen jahrtausendelang auf die eine Wahrheit gesetzt haben, werden wir jetzt innerhalb zweier Generationen in alle Richtungen hart trainiert, komplexe und widersprüchliche Systeme auszuhalten. Staying with the trouble!)

*ChatGPT für Fragen aller Art, und DALL-E für Bilder, die noch ein bisschen merkwürdig ausschauen https://platform.openai.com/apps 
** Midjourney, ebenfalls für Bilder https://docs.midjourney.com/

2.000 Jahre Angst – es reicht!

Wir waren in Sizilien und haben – unter anderem – einen Haufen Kirchen besucht. Die Erkenntnis ist nicht neu, dass die heilige römische katholische Kirche für unermesslichen Schrecken in unserer Seele verantwortlich ist. Weiß man. Und natürlich weiß ich auch, dass es viele reale Menschen in dieser Kirche gab und gibt, die gute und wichtige Arbeit leisten. Und das ihre Taten und guten und schädlichen Einflüsse zu komplex und vielschichtig sind, um sie in einem kurzen Artikel beleuchten zu können.

Aber auf dieser – wirklich wundervollen – Insel haben Facetten der kirchlichen Tradition eine schauerliche Lebendigkeit und Aktualität -, wodurch die Traumata und die Ängste, auf denen sie unter anderem gebaut ist, noch einmal sichtbarer werden.

Beispiel: Wir sind einen Tag nach dem großen St. Agatha-Fest in Catania eingetroffen. Auf den Straßen Müllberge von der großen Prozession, bei der die Reliquien der Heiligen durch die Stadt getragen werden. Arbeiter haben mit (Gas)Flammenwerfern einen dicken Belag an Sägemehl vom Asphalt gebrannt. Wachsreste überall. Goldene A’s auf rotem Samtgrund von allen Fenstern und Balkonen hängend.

In den Konditoreien und an Straßenständen wird tonnenweise Zuckerzeug angeboten. Darunter, sehr hübsch anzusehen, weiß kandierte Halbkugeln mit einer roten Kirsche drauf. Das sind die Brüste der heiligen Agatha, die von klein und groß froh verzehrt werden. Agatha selbst kann unmöglich froh gewesen sein, denn diese Brüste wurden ihr mit Zangen vom Leib gerissen. Weil sie als „gottgeweihte“ Jungfrau – angeblich – die Ehe mit einem „heidnischen“ Statthalter verweigert hat. Schließlich ist sie auf glühenden Kohlen verbrannt.

Hübsch.

Agatha wird als holde Jungfrau dargestellt, die sehr charmant ihre abgeschnittenen Brüste auf einem Tablett präsentiert. Denn durch Beten und Glauben ist sie rein und gut geblieben, undsoweiter, undsoweiter. Keine Rede von Wut auf ihre Folterer und Mörder, nein, Rettung durch himmlische Mächte. End of story.

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Mehr davon gibt es in Syrakus. Dort ist es die heilige Lucia, die sich geweigert hat zu heiraten, (undsoweiter undsoweiter) und sich selbst ihre Augen ausgerissen hat, um sie ihrem Liebsten zu schicken. Ein wenig  unlogisch, aber schön – ja,  reißerisch. Auch hier hält sie ihre Augäpfel anmutig auf einem Tablett und ist seither die Fürsprecherin für alle Blinden und Sehschwachen.

Die englische Historikerin Catherine Nixey hat in ihrem Buch HEILIGER ZORN sehr scharf herausgearbeitet, dass das Gebäude der Kirche vor allem auf den Knochen der Märtyrer*innen errichtet ist – oder dem, was dafür gehalten werden soll. Wenn alle Geschichten und Heilsversprechen auf Erlösung in einem fernen und nicht überprüfbaren Jenseits verweisen, braucht es irdische „Beweise“. Knochen und Reliquien sind eine gruselige Zutat bei der Erfolgsquote von Kirchen und Klöstern. Je mehr Knochen, umso mehr Gläubige.

Die Legenden von Märtyrern, das Versprechen, mithilfe des Glaubens Schmerzen und Tod zu überwinden, haben über Jahrhunderte Millionen Gläubige überzeugt. Dabei sind diese Legenden entsetzlich schrecklich und todeslüstern, sobald man mit nüchternem Verstand hinter den bunten Märchenüberzug schaut.

All die Knochen, all die mumifizierten Bischöfe, all die ans Kreuz genagelten jungen Männer, all die geräderten, verbrannten Jungfrauen, all die Folter, all der Horror rund um Tod und Sterben, hat eine tiefe Furche der Angst in uns hinterlassen. Die Denunziationen, die Scheiterhaufen, die schieren Raubzüge im Namen Gottes, das Zölibat, die Lust- und Sexfeindlichkeit, das Verurteilen von lebendigen Frauen und die Aufspaltung in Jungfrau und Hure, das Büßen und Beichten, verbiegen unsere Kraft und unseren Willen, aktiv zu werden, seit Generationen, bis heute.

Wir glauben an Autoritäten, wir glauben an Geschichten von Belohnungen – die irgendwann später kommen – , wir folgen brav und zittern vor der Apokalypse. Muster, die auch heute noch, in unserer scheinbar ungläubigen Zeit, bestens wirken.

Was wäre gewesen, fragt Catherine Nixey, wenn das Christentum sich nicht mithilfe der späteren römischen Kaiser so umfassend verbreitet hätte? In welcher Welt würden wir leben? Was wäre, wenn die fanatische Grausamkeit vieler früher Christen sich nicht gegen die Vielfalt, den Reichtum der Antike gewendet hätte? Gegen die Lust, die Üppigkeit? Gegen den scharfen Verstand der griechischen Philosophen, gegen die sehr lebendige Wissenschaft des Altertums?

Auch wenn sie von Kollegen für ihre Theorien kritisiert wird: Der katholischen Kirche durch die Jahrhunderte auf die Finger zu schauen, lohnt sich. Die Geschichten, die uns als unverrückbare Wahrheit von Kind an erzählt worden sind, zu durchleuchten, kann helfen, Licht in die Abgründe der Angst vor Verdammnis, Fegefeuer, einem allsehenden, strafenden Gott zu bringen.

Die Macht der Kirche beruht auf Geschichten , die zum Teil Jahrhunderte nach den behaupteten Ereignissen aufgeschrieben wurden. Geschichten, die in Konzilen von Männern zusammengebaut wurden, um ein klares Ziel zu erreichen: die Macht der Kirche zu halten und zu stärken.

Heute brauchen wir dringend neue Geschichten – mit Angst und Schrecken kommen wir nicht weiter, wie man sieht. Und all die armen Jungfrauen (die ungebrochen auf das gemütliche Recht, Frauen zu misshandeln, verweisen) verdienen es, friedlich zur Ruhe gebettet zu werden, statt weiterhin für verdrehte Tugend-Propaganda missbraucht zu werden.

Hinter den verstümmelten Frauen stehen weit mächtigere Bilder, Bilder von unzähligen Göttinnen und Frauengestalten. Vor dem wütenden Feldzug der Christen gegen das Leben selbst gab es einen reichen Pantheon an weiblichen Prinzipien. Göttinnen, die beschützen, nähren, helfen und heilen. Göttinnen für reiche Ernte, für einen wachen Geist, für Anfang und Ende. Göttinnen des Meeres, der Lüfte, des Getreides, des Gesangs, der Lust und Schönheit. Für Geburten, einen sanften Übergang am Ende des Lebens, für Weissagung und Orakel.

Die Vorgängerinnen der beiden Heiligen Agatha und Lucia lassen sich heute leicht finden. Statt der brustamputierten Agatha zB Artemis von Ephesos mit vielen lebendigen Brüsten. Statt der blinden Lucia die römische Lucina, später Juno, die den Neugeborenen nach der Geburt die Augen öffnet und sie so ins Licht der Welt bringt.

  
Diana/Artemis-Brunnen in der Villa d’Este am Tivoli – Lucina/Juno im Vatikan in Rom

Wie anders sind die Körperhaltungen, die Macht, die Würde!

Ich glaube nicht daran, dass wir zurück gehen müssen in vorchristliche Zeiten und uns magisch mit Göttinnen-Attributen schmücken sollten. Was blindes Rückwärts-Schauen in eine mystische, naturverbundene Vergangenheit auslösen kann, konnten wir in den letzten Jahren recht deutlich sehen.

Aber ich glaube, es ist höchste Zeit, den Klammergriff der christlichen Theologie kritisch zu untersuchen – gerade, weil er uns kaum mehr bewusst ist. Das schiefe Konstrukt aus zusammen gestückelten Mythen und Geschichten in Frage zu stellen. Zu erkennen, was dadurch an Kultur, Intelligenz, Lebenslust verloren gegangen ist.

Und uns zurück zu holen, was uns über Generationen genommen worden ist: Das Vertrauen in unseren sinnlichen Körper. In unsere Lust und Sexualität. Das Vertrauen in eine Lebenskraft, die uns hier irdisch nährt und trägt. Die Sorge um die Natur, die Mutter Erde, die uns eben nicht untertan ist. Die Kraft in realen Frauen, die von ihren Traumata geheilt werden können. Die Kraft in wirklichen Männern, die wieder verbunden sein können mit dem Weiblichen (auch in ihnen selbst), statt es vernichten zu müssen. Die Heilung von Beziehungen – in jeder Hinsicht. Die Heilung von Angst und die Verwandlung in Kraft.

Mögen die süßen Gött*innen aus Vergangenheit und Gegenwart uns dabei unterstützen!
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Heiliger Zorn

Wie die frühen Christen die Antike zerstörten
Catherine Nixey

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Gestalten statt erleiden: Konkret statt Konjunktiv

Ein kurzer Text, weil ich es SATT habe, dass wir von genüsslichen Krisenvorhersagen – Klima, Krieg, Inflation – niedergemäht werden und NICHTS passiert. Oder zumindest zu wenig. Wir werden täglich auf unser Unvermögen, unsere Gier, unser Versagen als Spezies hingewiesen – wer kann das aushalten? Und dabei handlungsfähig bleiben?

Es wundert mich nicht, dass Menschen langsam kippen, dass sie in gepanzerte SUV-Egoismen verfallen, dass sie resignieren und zynisch werden, vor Angst gelähmt sind, dass ihre Fantasien durchdrehen. Dass der öffentliche Raum närrischer wird, alles lauter und hektischer sein muss, um den Abgrund zu überdecken.

Dabei: Wir benehmen uns wie 30Jährige, die sich besorgt und paranoid im Spiegel betrachten, sich fett, dünnhaarig und faltig vorkommen, und sich von früh bis spät sorgen, sie könnten nicht gut ausschauen. Narzisstisch! Voreilig! Mit 50 kann man ein wenig jammern, mit 80 noch ein wenig mehr … Wir vergeuden uns schon jetzt! Wo wir essen und trinken nach Lust und Laune. Wo jede winzige Verletzung sofort behandelt werden kann. Wo öffentliche Verkehrsmittel durch Städte voller Leben, Austausch, Kunst, Musik fahren! Wo wir Entscheidungsspielräume haben, die jahrtausendelang undenkbar waren.

Wie bereiten wir uns praktisch und konkret vor auf etwas, das sich niemand vorstellen kann?

Ich bin froh, dass ich krisengeprüft und Künstlerin bin. Wir – und damit meine ich alle Menschen, die im weitesten Sinn künstlerisch/kreativ/eigenständig handeln – leben grundsätzlich unsicher. Wir haben grundsätzlich keine Ahnung , was in einem halben Jahr sein wird. Wir sind es gewohnt, unseren Lebensweg wie eine Spinne aus unserem Inneren zu weben, und darauf immer nur die nächsten Schritte gehen zu können – wackelig.

In jeder Katastrophe steckt auch die Kraft (die Krapht ;), irgendwie mit ihr umzugehen – das weiß ich. Mich hat die Kunst schon so oft gerettet – wäre ich in der Schule nicht wenigstens die Zeichnerin gewesen, wäre da nur ein gemobbtes Kind aus zerrütteter Familie übrig geblieben. Und es gibt einige Geschichten von Künstler*innen, die dank ihrer Kunst auch schrecklichste, mörderische Situationen überlebt haben.

Weil wir Visionen entwickeln können, auch unter Druck. Weil wir immer etwas zeigen, geben können. Weil bei Veranstaltungen aller Art grundsätzlich viel schief geht, und wir in der Lage sind, JETZT zu improvisieren. Weil wir SEHEN, was wir tun können, und was machbar ist oder doch Fantasie bleiben wird. Weil wir geübt darin sind, unterschiedlichste Menschen zusammen zu bringen. Weil wir gemeinschaftlich Dinge aus dem Nichts entstehen lassen können.

Das baut mich auf. Und ich bekomme Lust, mir konkrete Wege vorzustellen. Hier sind ein paar – vielleicht stoßen sie ja etwas an.

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Wenn ich Filmemacherin mit einem ordentlichen Budget inklusiver digitaler Animation wäre, würde ich all die Konjunktive nehmen, und konkrete Visualisierungen an wirklichen Orten draus machen. Langjährige Konsequenzen zeigen und hoffnungsvolle Möglichkeiten.

Zum Beispiel.

Was passiert, wenn in einer Stadt keine Autos mehr fahren? Wenn auf den riesigen Flächen Wiesen, Obstbäume, Kräuterbeete, kleine Bäche, Teiche entstehen – über Jahre? Wenn wir lernen uns gemeinschaftlich darum zu kümmern, Grätzl für Grätzl? Wenn zwischen den Häusern Pflanzen ranken, Wäscheleinen hängen? Wenn wir auf den Dächern Sonnenenergie sammeln, und Wasser heizen? Wenn auf der Straße Kinder spielen können, und Menschen miteinander plaudern können? Wenn es schlaue Zustelllösungen gibt, und Rettung und Feuerwehr trotzdem fahren können? Wie würde das aussehen, an einem wirklichen Ort, sich entwickeln, sich anfühlen – Hoflage nach allen Seiten? 

Was wäre, wenn Pflegerinnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern und -brüder, Kinderbetreuer, Polizistinnen, Pädagogen, Verkäufer, Handwerker*innen bestens bezahlt würden? Wenn sie eine Ausbildung hätten, die ihr Selbstwertgefühl hebt? Wenn sie Boni kriegen, einen sozialen Status, angenehme Arbeitszeiten, Unterstützung im Haushalt? Mit den Kindern? Ordentliche Arbeitsplätze, schicke Personalräume mit all dem Fancy-Erholungskram, den die Entwickler im Silicon Valley haben?
Wie geht der erste wirkliche Schritt dahin? (Manager*innen, die mit Gemeinwohl nichts am Hut haben, die Gehälter halbieren? Allen Luxusyachtbesitzern eine 50%ige  Gemeinschaftsabgabe abnehmen? Häuser, die nur wenige Tage im Jahr bewohnt werden, mit 80% Sozialumlage besteuern? Jeff Bezos besuchen?) 

Was muss man tun, um mit einem Schlag alle überheizten Shopping Malls, alle übermotorisierten Vehikel, alle Heizpilze, alle Freizeitspaß-Energieverschleuderer, die Kreuzfahrtschiffe abzuschaffen? Wie löst man im Handumdrehen rechtskonservative, hocheffiziente Geflechte in allen Schichten der Gesellschaft auf? Wie stellt man es an, dass alle Menschen lustvollen und anregenden Zugang zu Bildung und eigenständigem Denken bekommen? Wie stellt man alle KI auf sozial, fair, human und ganzheitlich um? Wie verhindert man, dass Essen weggeworfen wird, dass Kleidung weggeworfen wird, dass Elektronikschrott weggeworfen wird, dass junge Mädchen und Frauen verschleppt und weggeworfen werden? 

Was wäre, wenn wir magisch alle Traumata aus allen Kriegen, allen Familiengeschichten, allen Hungersnöten, allen Naturkatastrophen und Verbrechen in Gesundheit verwandeln könnten? Wenn wir nicht mehr so ängstlich und misstrauisch sein müssten? Wenn wir einander tief vertrauen könnten? Wie würde Politik ausschauen? Wie die Wirtschaft? Welche Grenzen gäbe es, und wie sähen sie aus?

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Wie löst man 11.000 Jahre Sesshaftigkeit mit Besitz, Gier, Gewalt, Patriarchat und giftiger Hierarchie auf?

In sich? Mit Geduld. Mit Verständnis.
Mit Dankbarkeit, Liebe und Mitgefühl.
Mit Kunst?
Vielleicht.

Ist Kunst jetzt wichtig oder wie?


Minoische Keramik, etwa 4.000 Jahre alt. Archäologisches Museum, Heraklion

Ist Kunst jetzt wichtig oder wie?

Wir waren im Burgtheater – das ist wirklich ein Unterschied zum Landleben am Berg, aufs Rad steigen, sich nach wenigen Minuten ins Parkett setzen und los geht’s! – und wir waren nicht viele. Rund um uns alles frei, ein paar Reihen hinter uns ein betagtes Abo-Pärchen, das in fast jeden stillen Moment hineingenörgelt hat. Die armen Schauspielerinnen! Da haben sie Troja überlebt und dann müssen sie sich in den gähnenden Raum hinein plagen, zwei Stunden lang.

Genauso plagen sich weite Teile der Kunst durch die Zeit der ausdauernden Krisen. Es wird ausgiebig beschrieben, beklagt. In der Corona-Blümchen-Zeit waren wir ergriffen, die Kunst ist wichtig, sie wird uns retten! Die schöne Musik am Balkon! Schon bald ist die Stimmung gekippt – sollen sie halt was Gscheites arbeiten gehen, statt zu jammern.

Über fast drei Jahre hat sich die Wirklichkeit in die Virtuell-Welt verlagert, abrupt, mit viel Angst und dann viel Frust. Wir selbst haben zu Beginn alle Marvel-Filme geschaut – Big Badabum – damit wir aus dem Grübeln und den Sorgen rauskommen. Wir haben Netflix abonniert und abbestellt, und jetzt gehen wir wieder ganz aktiv raus und bemühen uns um echte Erlebnisse. Das ist anstrengend – Karten organisieren, anziehen (was?), hinfahren, Menschen aushalten, die vielleicht merkwürdig riechen oder ausgerechnet vor uns eine hohe Frisur haben müssen. Was Mühsames sehen, vielleicht, sich sogar ärgern, aber trotzdem: Echt! Wirklich! Menschen! Verhandlungen! Frust aushalten, und doch meistens Glücksgefühle über das, was Menschen tun und zeigen.

Ich hab das schon einmal geschrieben, aber es gilt jetzt (post?)pandemisch noch mehr: Videoclips, Theater, Film, Streaming, Werbung, Musik, Design, Gemälde und Handwerk – wie aus einem riesigen Gratis-Social-Media-Kübel wird Kunst in unsere Heime, unser Hirn geleert. Massenhaft. Und alles in Massen ist nichts mehr wert. Wir gehen unter in schierer Quantität, in einem unendlichen Zahlenmeer. Unsere Begeisterungsfähigkeit wird abgeschliffen, die Ausdauer erodiert, Langeweile unerträglich. Nebenbei und vor allem werden unsere Daten und unsere Verweilzeit vermarktet, aggressiv und mit voller Absicht.

Und ich habe richtige Angst um die Wirklichkeit. DIE Wirklichkeit, aus greifbaren Materialien, aus echten Erlebnissen, aus gemeinsamer Zeit, Berührungen, Herausforderungen. Eine Öffentlichkeit, nicht fragmentiert in Blasen. Mein Mann hat mir gestern erzählt: Neben ihm im 19. Bezirk. Eine junge Frau steht an der Straße und spricht in ihr Handy. Er sieht eine zweite junge Frau in einem Auto, die offenbar mit der ersten telefoniert. Sie hält – bis zum Schluss wild telefonierend – direkt vor ihr, parkt das Auto schräg mitten auf einer T-Kreuzung. Sie steigt aus, sie begrüßen sich, schauen in die Handys, fotografieren, posten. Das reale Auto auf dem realen – saugefährlichen – Standplatz, vergessen.

Es geht noch schlimmer: Ein Nachbar von uns ist vor ein paar Jahren freizeitlich radfahrend umgekommen. Eine junge Frau hat am Steuer Selfies von sich gemacht und ihn übersehen, umgebracht. Das ist wirklich passiert, und alle kämpfen wohl bis heute mit den realen Konsequenzen.

SM-A-RTPHONE, SMRTPHONE – SMRT bedeutet in einigen slawischen Sprachen TOD (in GROSSBUCHSTABEN). Könnte man radikal umbenennen, und dann – respektvoll, wie im Umgang mit einer Waffe – darauf achten, das Ding souverän zu benutzen. Und nicht zulassen, von ihm benutzt zu werden.

Dass wir vor drei Jahren ein Theaterstück geschrieben und auf die Bühne gebracht haben, dass sich kritisch mit diesem wirklichkeits-mörderischen Einfluss von Smartphones auseinander gesetzt hat, ist bekannt. Seitdem können wir zuschauen, wie Social Media immer mehr den Kanal für die Wirklichkeit und damit auch für die Kunst-als-Schöpfungskraft verstopfen. Wie sie die Aufmerksamkeitsspanne immer feiner zerhäckseln. Wie sie Kommunikation vorgaukeln, die keine ist. Und natürlich ist klar geworden, dass die Kunst in der Form, wie wir sie kennen, nicht der – Achtung, schicker Begriff – Gamechanger sein kann, den wir uns ausgemalt haben.

Kunst gehört radikal neu gedacht, erlebt und vermittelt. Und das kann nicht von oben designt oder gemacht werden. Sondern nur von innen. Solange Kunst Kapital vermehrt, wie Aktien gehandelt wird, ein paar Stars in glamouröse Einsamkeit spült, gottgleiche Held*innen produziert, taugt sie nicht viel – zumindest für das große Ganze. Solange Kunst auf Mangel basiert – „du nicht, du nicht, du nicht, du nicht, du nicht, nein, nein, nein, aussortiert, nicht gut genug“ – solange es nur einen Platz an der Spitze der Pyramide gibt, ist sie schädlich. Solange in der Kunstwelt Herrschaftssprache gesprochen wird, die die bildungsferne Masse ausschließen und mir das erhabene Gefühl des Dazu-Gehörens geben soll, ist sie gemein. Solange Museen ihren Bestand massentauglich auf das Selfie-Motiv zusammen stutzen, ist sie doof. Solange das Märchen vom Talent und dem exklusiven Club der Begabten erzählt und geglaubt wird, wird Kunst einfach nur weiter ein patriarchales, hierarchisches System zementieren.

Ich weiß, dass weder ein Gemälde noch ein Musikstück die Welt retten werden. Aber ich glaube daran, dass wir Eigenständigkeit und Schöpfungskraft brauchen, zum höchsten Wohl aller. Menschen jeden Alters, vor allem Kinder und Jugendliche, die sich auf die Kraft ihrer Ideen, ihrer Improvisationskunst verlassen können. Die die Intelligenz ihrer Hände kennen und ausbauen können. Die die Verbindung zum Material geduldig aufbauen können, Frust und langweilige Prozesse aushalten, sich selbst im Scheitern aushalten. Die das Leben gestalten können, nicht nur Verpackungen und Oberflächen. Die weiter gehen, über die schönen Bilder hinaus, die Ideen umsetzen in die Wirklichkeit. Menschen, deren Geist so klar und ausgeruht ist, dass sie sich vorstellen können, wie sie miteinander leben wollen. Wie sie Netzwerke erschaffen können, die halten.

Menschen, die ihre Kreativität nicht in grenzenlosen Narzissmus stecken, so wie jemand der mit M anfängt und mit K aufhört und leider so entsetzlich reich und mächtig ist, dass er sich im Himmel herumtreiben darf. Sondern: Menschen, die kleine, fade Dinge tun, oder größere und strahlendere, oder nur eins in ihrem ganzen Leben, aber damit ihre Nachbarzellen im großen Organismus anstecken und stärken.

Und davon gibt es glücklicherweise schon viele, verschieden und vielfältig, und bestimmt im Umfeld von jeder und jedem von uns. Ausschau halten! 🙂

Sehr schön und konkret ist das Buch von

Robin Wall Kimmerer
Geflochtenes Süßgras

Wirklich nährend und aufbauend, wenn man am Mensch-Sein verzweifeln will.
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Und warum die minoischen Tassen? Weil sie – möglicherweise – von einer Welt erzählen, in der Kunst unglaublich raffiniert war, mit kleinen lebensnahen Werken, ohne megalomanische Heldenstatuen. Kunst in der Küche, als Kleidung, an Wänden. Kunst in Form vieler, vieler kleiner Dankbarkeitsgaben, die auf Berggipfeln den Göttern dargebracht wurden. Kunst als Erzählung einer minoischen, – vielleicht – friedlicheren, egalitäreren Gesellschaft, mit starken Frauen, Pflanzen und Tieren, magischen Siegelringen und filigran-ornamental bemalten Sarg-Behältern. Kunst voller Erfindungsgabe und scheinbar ohne strengen Formalismus. Kunst, die nach 4.000 Jahren froh macht!

Vom Leben auf Vulkanen/im Paradies

Das Jahr 2022 – die eine und die andere Seite

März 2022 —

Also, erst einmal ausholen.
Wir leben auf einem Planeten, der einerseits aus Feuer und ungeheuren tektonischen Kräften besteht. Auf diesem Planeten ist andererseits eine hauchdünne Haut aus Cyanobakterien -> Chlorophyll -> Wasser, Luft, Humus -> Pflanzen, Tieren, Steinen und uns. Rundherum ist sauerstoffloses Nichts, ein Universum, dass irgendwann mit einem Knall begonnen hat, sich ausdehnt, schwarze Löcher und dunkle Materie enthält und irgendwann endet – was wir nicht mehr mitbekommen werden, weil bis dahin die Erde in die Sonne gestürzt sein wird.

Wir leben auf einem Planeten, der brandgefährlich ist. Jederzeit kann der Yellostone Supervulkan oder der Supervulkan auf den Campi Flegrei bei Neapel losgehen. Jederzeit kann es fürchterliche Katastrophen, Erdbeben, Flutwellen und Ähnliches geben. Das Klima ändert sich auch ohne unser Zutun, mit unserem Zutun noch gravierender.

Warum sind wir hier? Warum haben wir Städte, Gesellschaften, Wirtschaft erfunden? Wieso gibt es Kunst? Wie kommt es, dass wir gleichzeitig so genial, liebevoll, visionär (paradiesisch), und so korrupt, räuberisch, zerstörerisch (vulkanisch) sein können? Wieso haben wir einen Geist, der unsere eigene Zerstörung erschaffen, Mittel dagegen ersinnen, sich unseren Untergang, aber auch unser Überleben vorstellen kann?

 

Noch einmal ZWEI. Wir sind beides. Wir bringen Hitler, aber auch die Nürnberger Prozesse hervor. Wir haben eine Bananenrepublik, und die WKStA. Wir lieben unsere Kinder und Partner*innen, und manchmal würden wir sie am liebsten auf den Mond schießen. Wir sorgen uns um die Natur und fliegen in Urlaub. (Ja. Haben wir gerade gemacht.)

Nach 10.000 Jahren Sesshaftigkeits-Schlamassel wird das mit dem ZWEI scheinbar immer überwältigender. Ich glaube, viele Menschen können die Spannung zwischen unserem unfassbaren sternengleichen Potential und unseren höllischen Abgründen nicht mehr gut aushalten. Ich glaube, wir werden alle ein bisschen verrückt – zumindest enorm stark unter Druck gesetzt durch Gegensatzpaare, wohin wir schauen:

Mann – Frau (und noch andere binäre, trans-/inter Menschen)
Vergangenheit (unbewältigt) und Zukunft (zum Fürchten)
Massen und Bevölkerungsexplosion – Isolation und Einsamkeit
Staat (mit alles) – Freiheit (mit alles)
Digitalisierung und künstliche Intelligenz: grenzenloser Zugang/globalisiertes Wissen – gläserige, potentiell totalitäre Überwachung
Unvorstellbarer Reichtum für die Elite – bitterste Armut für zu viele
und
Frieden und Glück (von der Werbung versprochen, ein Recht!) – Krieg und Atomwaffen (eh die ganze Zeit irgendwo, aber bisher angenehmerweise weiter weg)

 

Das Bild von den Vulkanen und den Bäumen kommt aus einem weiteren ZWEI, nämlich der interessanten Kombination aus unserem Erholungsurlaub nach den vielen Umzügen, und dem kriegerischen Einmarsch in die Ukraine gleich am ersten Tag.

Auf dem Weg nach Sizilien haben wir von oben in den Vesuv-Krater geschaut, gesehen, wie der Stromboli gemütlich vor sich hin qualmt und den frisch ausgebrochenen Ätna mit grauen Rauchfahnen aufragen sehen. Schaurig-schön.

In Palermo sind uns die Augen über gegangen: Riesige Feigenbäume, mit Stützen und Stämmen, urzeitlichen Wurzelsystemen, Ficus Macrophylla, ein schieres Symbol für Schutz und Kraft. Der botanische Garten der Stadt  ist paradiesisch, mit wilden Papageien und einer wuchernden grünen Stille, mitten in Chaos und Dreck.

 

Mit diesen starken Bildern und jetzt, wo die Welt auf den Kopf gestellt ist, wird mir noch ein bisschen klarer: Ich weiß überhaupt nichts – es geht gar nicht. Ich habe keine Lust, mit Meinungen um mich zu werfen, meine Energie in Aufregung und mediale Zermürbung zu legen. Keine Analysen, keine betroffene Kategorisierung von Guten und Bösen. Alles, was ich zu tun habe, ist zu spüren, was ist, und mich radikal für die Liebe zu entscheiden.

Natürlich fürchte ich mich, oft. Immer wieder langt die Realität zu, und meine Knochen werden zu Eis, wenn ich mir vorstelle, was alles passieren könnte. Wie es sich anfühlen könnte. Was meinen Kindern, dem Enkel, allen Kindern, allen Enkeln zustoßen könnte. Wie wir, verwöhnt und verzogen, Hunger, Kälte, Armut und Schlimmeres aushalten können müssten – wie so viele, viele andere Menschen auch.

 

Ich glaube, es geht nicht um Liebe oder Angst. Die Angst kommt sowieso, mehrmals täglich, und so gut ich kann, will ich mich für die Liebe entscheiden, radikal. Ich will nach Kräften Räume für Schönes, Menschliches, Schöpferisches hochhalten. Wenn ich um etwas kämpfe, dann darum, dass nicht die Angst übernimmt, weder in mir, noch in meinen Beziehungen, in meiner Umwelt, sondern die konkrete Liebe (nicht der romantische Kitsch).

Denn das ist wohl die einzige wirkliche Wahl, die wir haben – zwischen Liebe und Angst. Angst ist ein großer Motor dafür, sich zu sorgen, aggressiv zu werden, zu jammern, sich unterlegen und ungerecht behandelt zu fühlen, zu tricksen und zu manipulieren, einen Panzer anzulegen, zu hassen und zu zerstören.

Wenn wir statt dessen atmen und unser Herz spüren = die Angst verwandeln, uns um Mitgefühl bemühen, um Sanftheit, während wir standhaft bleiben und unsere Integrität schützen, die Wahrheit sagen und für etwas kämpfen ohne zu verletzen, nähern wir uns der Liebe an. Das Ganze in einer wirren, angespannten Corona-Gesellschaft – was für ein Trainingslager!

 

Damit kann aus ZWEI Alles werden, weil alles enthalten ist – Vulkan und Paradies. So wie unser Planet eins ist, ungeteilt. Und das gibt wieder einen enormen Halt, wie der Feigenbaum, und eine enorme Kraft – wie ein Vulkan.

(Wer weiß, was am Baum der Erkenntnis von Gut und Böse in Wirklichkeit dran ist?)

Aufwachen, erwachen, erwachsen werden

April 2021 —–

 

Das Szenario.

Vor kurzem, an einem Dienstag, stehe ich vor unserem Haus. Plötzlich klirrt es, vibriert, alle Dachziegel tanzen. Ein merkwürdiger, irgendwie großer Moment, ich erfahre bald darauf, dass in 10 km Tiefe, unter Neunkirchen, ein Erdbeben der Stärke 4,7 gemessen wurde.

Wir haben viel Zeit im Golf von Neapel verbracht, oft wochenlang. In Pozzuoli, ein wenig westlich von Neapel, hebt und senkt sich der Boden im Lauf der letzten Jahrzehnte bis zu sechs Meter, wie eine elastische Decke. Pozzuoli liegt – dicht besiedelt – in den Campi Phlegraei. In diesen „brennenden“ Feldern, in denen schwefeliges Wasser blubbert, ist erst 2017 ein Elternpaar mit Sohn an den giftigen Gasen erstickt. (Man kann dort touristisch herumwandern … so wie im Yellowstone Park. Beide gelten als Super-Vulkan.)

Der Ausbruch des Vesuv 79 n.Chr. hat einen Alltagsmoment der Antike in Pompeji und Herculaneum in Asche konserviert. Bis heute kann man in Herculaneum 300 Skelette der Menschen sehen, die in Bootshäusern Schutz gesucht haben. Die Abdrücke der Opfer in Pompeji sind weithin bekannt.

Irgendwo habe ich – sinngemäß – diesen Satz aufgeschnappt: Wir leben auf der dünnen, schimmeligen Schicht einer Kugel, die durch lebensfeindlichen unendlichen Raum rast. Und das auf einer instabilen Plattenkonstruktion, auf einer glühenden Lavaschicht hin und her geschoben von gigantischen Kräften. Anlässlich des Erdbebens habe ich recherchiert, wie oft die Erde in Österreich bebt – oft!

(Wie, sie schreibt nicht über Corona? Doch, im weitesten Sinn schon!)

Wir sind eine unglaubliche Spezies, die ihren Geist in grenzenlose Weiten schicken und doch das ganz Offensichtliche verdrängen kann: Wir existieren, umringt von unvorstellbaren Katastrophenpotentialen, und alle sterben wir, nach einem kurzen Moment des Daseins. Aber – wurscht! In diesem kurzen Moment entfalten sich äußere und innere Reiche von großer Schönheit, unermesslichem Wahnsinn, grotesker Blödheit, himmlischer Schöpfungskraft. Und weil wir uns gerne Geschichten über diese Fantasie-Reiche, diese Tänze auf dem Vulkan, erzählen, könnte eine Geschichte so gehen:

PILOT – Die gute Mutter.

Es war einmal eine Menschheit, die lebte recht friedlich im Schoß der Mutter Erde. Sie jagte, aß, schlief, malte, musizierte, vermehrte sich (mit Bedacht), und war insgesamt gesünder und glücklicher als in späteren Epochen. Als Mutter Erde jedoch immer wieder für unwirtliche Lebensbedingungen sorgte (11.000 v. Chr. hat der gigantische Vulkanausbruch in der Eifel die Menschen sicher tief traumatisiert, und sich vielleicht als Hölle in unserem Unterbewusstsein gehalten), da wurde aus der freundlichen, nährenden Gestalt nach und nach eine furchterregende Unterweltgöttin, die nicht zu kontrollieren war.

Season 01 Episode 01 – Der Hunger.

Langsam, langsam, und wohl auch aus bitterem Hunger, erlernte die Menschheit Ackerbau und Viehzucht. Das Wetter kam von oben, es machte die Erde fruchtbar oder vernichtete die Ernte, ganz nach Belieben – wie ein zorniger Himmelsvater. Die Menschheit blieb kindlich, lernte, sich vor dem Weiblichen zu fürchten und es zu kontrollieren, den Vater mit Gebeten (sprich Forderungskatalogen) und Opfern zu beschwichtigen und zu manipulieren. Und sie vermehrte sich stark, der Vater gewann an Macht, die Mütter wurden immer mehr verdrängt.

S01E02 – Selber!

Wir spulen vor: In der Antike erwachte so etwas wie ein trotziges Schulkind in der Menschheit. Ich will selber, lautete die Devise. Es begann zu forschen und Wissen zusammen zu tragen. Oft abstrus, oft genial, bis in der Renaissance so viel davon da war, dass es erkannte: Mutter Natur und der Vater im Himmel sind nicht so allumfassend, wie wir geglaubt haben. Wir können sie verstehen, vermessen, darstellen, durchschauen. Das Menschheitskind fuhr sozusagen das erste Mal allein auf Ausflug, mit Segelschiffen auf unbekannte Horizonte zu. Die Erde machte es sich untertan, und Gott wurde immer weiter entthront, aufgeklärt, für tot erklärt.

S01E03 – Kriegst eh alles!

Als die Menschheit begann, selber so richtig schöpferisch zu werden, in zwei Wellen  – Industrialisierung/unendliche Verstärkung der Körperkraft, und Digitalisierung/unendliche Verstärkung der Geisteskraft – waren Gott und Natur endgültig zu zwei kleinen Gestalten in der Vergangenheit geworden. Seither toben wir herum, vermehren uns exponentiell, pickelig, hormongesteuert und ohne Plan. Wir bilden Gangs mit Farben (rot, türkis, blau, grün und pink), mobben die Anderen (Juden und Ausländer), legen Städte in Schutt und Asche, gehen über jede Grenze und wollen möglichst viel für uns selbst haben, koste es was es wolle. Pubertät eben.

S01E04 – The Virus.

Jetzt merken wir: Mutter Natur ist grantig. Sie wirft mit Dreck (Viren) um sich, stürmt und schäumt vor Wut. Das Klima zu Hause ist scheiße. Gottvater schmollt, weil niemand mehr auf ihn hört, schweigt trotzig, und vergreift sich manchmal zum Trost an kleinen Buben. Oder – öfter – an großen Besitztümern. Wir sind praktisch an einem Höhepunkt der Geschichte. Drama pur. Der Moment, bevor der Held/die Heldin merkt, was zur Lösung der Krisis notwendig ist. (Werden wir es schaffen???)

S01E05 – Teile und herrsche – divide et impera.

Einstweilen tappen wir noch im Dunkeln. Einstweilen, wie in jeder guten Story der letzten 2.000 Jahre, teilt sich die Gruppe. Da gibt es die Braven:

Sie ernähren sich gut, machen Bewegung, achten auf tiefen Schlaf, entspannen sich, gehen spazieren, nehmen Vitamine, sind ehrlich, tolerant, friedliebend, weichgestreichelt. Sie wollen Gutes tun, weil sich das gehört, und wenn es nur ein Klick auf die richtige Petition ist. Sie erklären ihren Kindern alles und sind auch zu ihnen ganz lieb, immer. Sie sind betroffen, haben Mitgefühl, sind dankbar, glatt, weich, gegendert, verplant. Sie gehen 10.000 Schritte, trinken ja keinen Rotwein, wollen alles richtig machen, und essen auch kein Fleisch. Sie wollen ganz unbedingt, dass es der Mama wieder besser geht und der Vater wieder lieb zu ihnen ist.

Und selbstverständlich gibt es die Anderen, die Bösen. Die ganz Wilden, die aus der letzten Reihe. Die den Lehrer plagen, an Gesundheitsminister Morddrohungen schicken. Die sich untereinander famos, mafios, das Staatssilber aufteilen wollen. Die rausgehen, eine rauchen. Die gern das Parlament oder den ORF stürmen wollen. Die abgehängt werden, weil sie keine langen Sätze verstehen. Die nichts kapieren, weil sie nie gelernt haben, wie man was kapiert. Die Krankenhäuser kaputt sparen. Die gern unter sich bleiben. Die saufen und ihre Frauen prügeln. Die shoppen und ihre Männer verachten. Die nicht schön wohnen. Die ihren Kindern Geld geben, damit sie eine Ruh geben. Die mit Mama und Papa längst abgeschlossen haben, null Respekt (und vielleicht einiges an Schmerz).

Die Einen verachten die Anderen, weil sie sich selbst für klüger halten (und nichts dafür können, außer der Gnade der Geburt). Die Anderen verabscheuen die Einen, weil sie spüren können, wie diese Einen sie für blöd halten (obwohl sie nichts dafür können, dass sie nicht an die Bildungstöpfe gelangt sind). Und natürlich gibt es das Gute und Böse auch in wilder Mixtur in jedem von uns, was uns ein bisschen peinlich ist. Die Mutter hat uns scheinbar aufgegeben – warum auch nicht, die Natur hat Millionen Nachkommen aller Art und braucht uns nicht im Geringsten für ihren Fortbestand. Der Vater im Himmel wird angesichts der forschenden und fragenden Wissenschaften zu einem fahlen Konstrukt, das im Spiegel verweht.

Jetzt, jetzt, ein Cliffhanger!

Upcoming soon: Season 02

Werden es die jugendlichen Rotzlöffel hinkriegen, dass sie erwachen und sehen, dass sie einfach nur ein kleiner Teil von Allem sind, statt Fantasy-Heroes – gut oder böse? Werden sie erkennen, dass sie nichts weiter sind als kleine, unwichtige, ein bisschen gestörte Verwandte in der riesigen Öko-Familie? Werden sie aufwachen, und in winzigen, konkreten und wirklich mühsamen Schritten lernen, wie das geht – in der ihnen zustehenden Nische erwachsen werden?

Stay tuned!

Zwei Möglichkeiten: Auf die nächste Staffel warten, mit Fernbedienung und Knabberzeug. (Working title: Change by desaster.)

Oder selbst rausgehen, Team suchen, Kommunikation beginnen, handeln – dienen! Verzichten! Soziales Jahr!

Oder?

… vielleicht hilft das auch alles nichts, siehe Lava, siehe Plattentektonik, siehe Katastrophen. Das aber macht uns so richtig schön, als Spezies, die das zweifelhafte Potential hat, den eigenen Untergang vorher zu sehen: Trotzdem alles versuchen. Und da sind wir doch auf einem ganz guten Weg, alles in allem.

Hier passt noch einmal der Verweis auf das Buch „Unruhig bleiben – Staying with the trouble“

GESCHICHTEN VON DEN STERNEN

Jänner 2021 ——

 

Seit etwa elftausend Jahren schaut die Menschheit zum Himmel und erhofft sich, für ihr wucherndes gesellschaftliches Durcheinander so etwas wie eine Anleitung zu finden. Wir machen das bis heute. Der Blick in den Sternenhimmel kann trösten, etwas Größeres versprechen, oder Schutz und Sinn durch eine höhere Macht – ganz nach persönlicher Auslegung. Weil wir dieses Leben mit unserem Verstand nicht erfassen können, weil es ein ewiges Rätsel bleibt, was wir hier tun, wozu, und woher das alles kommt, erfindet unser geniales Bewusstsein Geschichten. Und viele von ihnen werden auch wahr.

Aktuell toben in unserem geteilten Geist – online, eine unfassbare wahr gewordene ScienceFiction-Geschichte – regelrechte Schlachten um die Deutungshoheit der Wirklichkeit. Menschen mit Büffelhörnern am Kopf überfallen gewählte Parlamente. Präsidenten lügen, bis man sie stilllegt. WissenschafterInnen vernetzen sich digital und unter Hochdruck, um die ungreifbaren Qualitäten und Bedrohungen eines winzigen und hocheffizienten Lebewesens zu verstehen. Regierungen geben Millionen aus und beschäftigen – angeblich – fünf mal so viele Mitarbeiter für PR und Medienarbeit, als für die Verteilung der Hilfsgelder in einer eigens dafür gegründeten Agentur; nur um eine den eigenen Machtbedürfnissen genehme Version der Geschichte zu erzählen, zu drehen und zu wenden.

Alles nicht-Wissenschaftliche wird – oft sehr zu Recht – vehement aus der offiziellen Version der „Wirklichkeit“ gedrängt. Büffelhörner sind hier ein starkes Argument. Andererseits bieten die Sterne konstruktive Geschichten: Mit Konjunktionen, die erstmals nach etwa 800 Jahren wieder in einem Luftzeichen stattfinden. Mit möglichen Wendungen hin zu einer weniger besitzorientierten, weniger materiellen, weniger rigiden Gesellschaft. Mehr Luft, mehr Raum, mehr Leichtigkeit, das könnte eine gute Vision sein. Mehr Miteinander, mehr Mitgefühl, mehr Verständnis für unser chaotisches Mensch-Sein auch. Und auf chinesische Art gibt es Büffel und Metall; Geschichten von mehr Verantwortung, mehr Transparenz, mehr Struktur – mehr wirklicher Arbeit statt Blendwerk.

Zu „guten“ Geschichten gehören die „bösen“ Kräfte, die sich dagegen stemmen, und die wird es weiterhin reichlich geben. Auch hier haben SterndeuterInnen viel Material zum Nachdenken zu bieten.

Interessiert? Es gibt verschiedene Level:

Astrologisch

Mainstream mit Büffeln
Mainstream westlich

Prägnant